Während für Baby Mit dem Besuch hier ein 15 Jahre alter Traum in Erfüllung geht, kann ich nach sechs Tagen auf dem Bauernhof sagen „nichts wie weg, denn hier ist mir eindeutig zu viel los“!

Aber zuerst mal von Anfang an. Nach dreieinhalb Stunden Fahrt durch die wunderschöne Landschaft, wirft uns der Busfahrer hier an einer Straßenkreuzung mitten in der Pampa raus. Tatsächlich weist hier ein Schild Richtung „Longo Mai“. Wir schwitzen uns die letzten zwei Kilometer eine steinige Strasse durch den Wald hinauf und erreichen unser nächstes Ziel, das ich liebevoll „die innere Pampa“ taufe.

Wir befinden uns in einer Siedlung der Longo Mai, einer unabhängigen, sich selbst organisierenden Gemeinschaft, welche man verstreut über den Erdball findet. In diesem Fall ursprünglich als Flüchtlingslager für Nicaraguaner, später El Salvadorianer gegründet, lebt die Bevölkerung heute von dem was ihnen die Natur bietet und den Fähigkeiten, die der Einzelne zur Verfügung hat – grossteils Zuckerrohr, Kaffee, Viehzucht (ist fast schon zu viel gesagt) und (Kunst)Handwerk.Genaueres weiß Baby.

Wir werden bei Dona Edith einquartiert, denn hier haben wir Familienanschluss. In jedem Hostel auf unserer bisherigen Reise wären wir beim Blick auf die simple Unterkunft umgedreht und hätten etwas anderes gesucht – aber anderes gibt’s hier nicht.

Wenn man sich in einer Kommune einquartiert, läuft das meistens nach zwei Schemas: Entweder man arbeitet einige Stunden am Tag für Unterkunft und Essen oder (wie in diesem Fall) man bezahlt für Unterkunft und Essen, kann bei Projekten mitarbeiten, sich eigene ausdenken oder einfach gar nichts tun. Vor unserer Ankunft war meine Vorstellung von unserem Aufenthalt, dass Baby hier sicher rund um die Uhr an allen möglichen Projekten arbeiten wird (weil sie ja spanisch kann) und ich mich hier langweilen und von den Moskitos zu Tode stechen lassen werde.

ZSUZSANNA

Doch so schlimm war´s gar nicht, denn schon am zweiten Tag sitze ich im Atellier von Zsuzsanna und unterrichte sie in Photoshop, Camera-Raw und Fotografie. Wie das geht? Ganz einfach, sie kommt aus der Schweiz, lebt seit 20 Jahren hier mit ihrem Mann Christoph und spricht deutsch. Abgesehen davon ist sie Künstlerin und soweit ich gesehen habe, arbeitet sie vordergründig mit natürlichen Materialien. So beschäftigen wir uns die nächsten Tage unter anderem mit einem Stein, verschiedenen Samen und einer Frucht, welchen Zsuzsanna durch ihre Arbeit zusätzliche Qualitäten hinzufügt. Die Arbeit mit Zsuzsanna wird meine tägliche Vormittagsbeschäftigung.

 

FLUSS Nr. 1 (erster Versuch)

Am Nachmittag wollen Baby und ich zu einem der zwei Flüsse bei der Siedlung um ein wenig zu plantschen. Hier wird auch ganz klar, dass wir uns hier nicht in einem Tourismusort befinden. Es gibt zwar an der Strasse ein Schild mit einem Pfeil, auf dem „Fluss“ steht, dieser Pfeil zeigt aber geradeaus in den Urwald. Eine Wegbeschreibung von Dona Edith später stehen wir zwischen Zuckerrohr- und Kaffeefeldern und raten uns dem Fluss entgegen. Der Urwald hier ist dicht und unberührt, von zarten in alle Richtungen abgehenden Wegen, welche gerne mal im Nirvana einfach so enden, abgesehen. Wir schaffen es letztlich bis zu einem netten Bach. Den Fluss hören wir zwar immer wieder mal, finden aber keinen Weg der uns hinbringt.

 

FOTOGRAFIE VOR DEM REGEN

Einen Nachmittag später latsche ich mit meiner Kamera bewaffnet durch die Umgebung. Da sich Regen ankündigt, sind die Lichtverhältnisse spektakulär und mir gelingen wieder einige wundervolle Bilder. Nach diesem Ausflug muss ich leider allen naturverbundenen Österreichern sagen, dass der Wald bei uns zuhause langweilig ist!

 

FLUSS Nr. 1 (in Hochgeschwindigkeit)

Am nächsten Tag bietet uns Dona Edith an mit ihr zum Fluss zu gehen, was wir dankend annehmen. Wenig später rasen wir durch das Labyrinth von Wegen im Urwald zum Fluss. Die Dame, deren Alter ich vorsichtig zwischen 55 und 60 Jahre anschätze legt mit Flip-Flops und ihrer Machete ein Tempo vor, dass Baby und ich froh sind, dass wir uns nicht auf einer Bergwanderung befinden. Nebenbei erfahren wir Allerlei über wichtige Bäume und Pflanzen und kommen auch wirklich zum Fluss, wenn auch Dona Edith nicht auf Anhieb hinfindet. Das Wegweissystem hier ist auch etwas, sagen wir mal „archaisch“ – ein quer im Weg liegender Ast, kann nämlich einfach nur ein im Weg liegender Ast aber auch ein Wegweiser sein. Auf jeden Fall bleibt mir in Erinnerung, wie Baby und ich im Wasser plantschen, während Dona Edith auf einem grossen Stein sitzt und immer wieder mit ihren Füssen im Wasser plantscht, wenn sie etwas Lustiges erzählt. Besonders unterhaltsam findet sie die österreichische Tradition, dass zu Ostern Schockoladehasen die Eier bringen.

 

FLUSS Nr. 2

Später versuche ich alleine noch den zweiten Fluss zu finden und scheitere erneut an meiner Unkenntnis, Äste zu deuten. Macht aber nichts, denn am nächsten Tag bringt mich Baby hin und wir haben hier eine schöne, innige Zeit – Danke Baby!

 

SCHWEINEREIEN

Direkt vor unserem Quartier befindet sich ein Schweinestall, welcher gerade mit einem Bewohner besetzt ist. Überraschender Weise stinkt es hier so gut wie gar nicht. Das liegt daran, dass Dona Edith den Mist des Schweins jeden Abend per Gartenschlauch aus dem Stall in ein Rohr schwemmt. Nachdem wir uns bei Dona Edith erkundigen, bin ich begeistert, was es damit auf sich hat. Der Mist gelangt nämlich über das Rohr in ein Becken, welches mit einer Plane zugedeckt ist und dient zur Gaserzeugung für den Herd in der Küche ihres Hauses. Das finde ich mindestens so sensationell, wie Dona Edith selbst, welche uns erzählt, dass das Gas für 10 Familien reicht. Sie hatte mal acht Schweine. Dann wurde soviel Gas erzeugt, dass sie Angst hatte, dass ihr die Schweinerei um die Ohren fliegt. Kurz zusammengefasst, hat dieses Schwein somit drei gute Gründe für seine Existenz: 1. Dünger für die Kaffeplantage, 2. Gas zum Kochen und schliesslich 3. Schweinefleisch, bei dessen direkter Erzeugung wir morgen dabei sein werden, denn die Uhr des Schweins (6 Monate alt, ca. 100 Kilo schwer) hat ausgetickt.

Es ist kurz vor sechs Uhr am Morgen und wir Fleischfresser haben das Bedürfnis an den Ursprung des Schnitzels zu gehen und einer Schlachtung beizuwohnen. Unsere Befürchtungen von einem panisch quieckenden Schwein und viel Blut werden nicht erfüllt. Der einzige Moment an dem das Schwein nervös wirkt ist, als es angebunden wird und aus dem Stall auf die Wiese gehoben wird. Schon nach kurzer Zeit frisst es friedlich das Gras vor seiner ehemaligen Behausung. Dann geht alles ganz schnell – ein gezielter Schuss aus dem Gewehr, kurzes Auszappeln und dann ist auch schon das Leben ausgehaucht. Die eigentliche Schlachtung zieht sich dann im idyllischen Morgengrauen über einige Stunden hin und wird von drei Männern auf sehr sorgsame Weise durchgeführt. Zuerst wird das Fell abgeschabt, wozu eine kochende weissliche Flüssigkeit über das Schwein geschüttet wird, was wohl den Vorgang erleichtert. Den gesamten Prozess beobachten übrigens auch zwei Töchter von Dona Edith und der kleine Santiago. Anschliessend wird das Schwein unter einen Ast gehängt, gewaschen und rasiert (wirklich). Irgendwann fehlen dann Kopf und Vorderfüsse. Der Kopf landet unverzüglich im Topf von Dona Edit und wird schon mal gekocht. Anschliessend wird die Fettschicht eingeschnitten und abgezogen, bevor die Innereien herausgenommen werden. Dazu wird der Anus mit einer Schnur zugebunden und anschliessend das Schwein auf der Bauchseite vom Becken bis zum Hals vorsichtig mit einer Machete geöffnet und der Inhalt in einen Sack gekippt. Dann werden Leber und andere verwertbare Organe aussortiert. Nun sieht das Schwein genau so aus, wie man es kennt – Ripperl und Schweinestelze sozusagen. Nun bleibt nur noch alles in gerechte Teile zwischen den mitwirkenden Personen aufzuteilen und sich aufs Abendessen zu freuen.

Wir hatten tatsächlich das grosse Glück bei einer „humanen“ Schlachtung dabei zu sein, welche nicht das Geringste mit Tiertransport und EU-Schlachthauszentrale zu tun hat. Darüberhinaus war es das erste mal, dass hier mit einem Gewehr gearbeitet wurde. Früher wurde eine Machete verwendet und das war scheinbar quieckender und blutiger – einmal mehr zeigt sich uns die Reise sehr gewogen.

 

DER STEIN UND DER BAUM

Gestern sind uns die Zigaretten ausgegangen. Hier sind keine aufzutreiben und so gehen wir nach der Schweineschlachtung durch die schwüle Hitze (Luftfeuchtigkeit 90-100%), um einen Stein mit präkolumbianischen Zeichnungen und einen grossen Baum zu finden. Wir sind genervt und einmal mehr scheitern wir an schlechten Wegbeschreibungen und den beschissenen Wegweisern. Wir sind ohne es zu merken wiedermal Touristen geworden und dazu sind wir hier am falschen Platz. An dieser Stelle möchte ich bemerken, dass man die Idylle hier in der Longo Mai durchaus auf zwei Arten sehen kann. Einmal eben idyllisch, friedlich, anarchistisch und wunderbar aber auch ignorant, naiv und dämlich (mit vollem Respekt den Einheimischen gegenüber). In zweiterem Zustand stehen wir in der Nähe des riesigen Baumes und ich schwitze mir die Seele aus dem Leib. Wir finden tatsächlich den Felsen und erkennen darauf eingeritzt – nichts. Dann trennen sich Babys und meine Wege, denn ich will mich schleunigst duschen und hinlegen, während Baby sich auf das Abenteuer einlässt, eine Ökofinca anzusehen, die erstmal gefunden werden will.

Am Abend sitzen wir bei Dona Edith und essen frisches Schweinfleisch. Auch wenn es schmeckt wie gewohnt, ist es ein besonderes Abendessen. Die Lücke vom Schweinchen in Kinderbüchern zum Fleisch auf dem Teller ist geschlossen.

 

Nun mache ich mich ein letztes Mal zu Zsuzsanna auf, um sie zu fotografieren. Dann wird wiedermal gepackt. Wir wollen dann noch bei einer Sitzung der Gemeinde zu den Themen „Friedhof“ und „Bau eines Wasserkraftwerkes“ reinschaun, bevor wir nach San Isidro fahren, von wo uns unsere Reise Morgen nach Panama bringen wird.