Drei Monate Reise liegen hinter uns. Ich bemerke eine gewisse Müdigkeit, fühle mich etwas erschöpft und voll mit Eindrücken. Eine leichte Melancholie, dass Zentralamerika „schon“ hinter uns liegt. Aber auch die Sehnsucht nach einem Ort des Verweilens, des Bleibens und die Vorfreude auf das Abenteuer Südamerika. Ich frage mich manchmal, wie die Reise verlaufen würde, wenn wir kein Ziel hätten. Auf jeden Fall anders. Wir sind sehr strukturiert, gut organisiert und ein hervorragendes Team. Wir kennen uns so gut, können uns austauschen und wissen gleich, wenn etwas nicht passt. Wir kennen die Gefühlsregungen des anderen und versuchen immer möglichst schnell und passend darauf einzugehen. Wir ergänzen uns wunderbar, wir passen aufeinander auf, wir beschenken uns mit Nettigkeiten. Wir sind aufeinander abgestimmt und es ist uns nicht zu blöd uns immer wieder von Neuem auf das Gegenüber einzustimmen und uns auch gegenseitig zu loben. Ein Ziel zu haben gibt einen gewissen Rahmen vor, gehört mit zum Sicherheitsding. Zuhause bewegen wir uns im Rahmen unseres Alltages, jetzt bewegen wir uns im selbst erstellen Reiserahmen. Immer mehr habe ich das Gefühl, dass wir immer weniger davon brauchen – bräuchten. . . Werden wir ihn trotzdem beibehalten, den Rahmen oder brechen wir ihn auf?

Wenn ich die bisherige Reise Revue passieren lasse, denke ich an die Anfangszeit auf der Isla Mujeres, die einerseits sehr entspannt war, gleichzeitig aber auch aufgeregt, weil die nahe Zukunft so unbekannt war. Die Ruinenbesichtigungen waren wieder einzigartig! Sehr schön war die Zeit in San Cristóbal, die geprägt war vom Spanisch lernen und den netten LehrerInnen und anderen SchülerInnen. Flores war eine total gechillte Phase und ich bin froh, dass wir uns das gegönnt haben, denn wie sich herausstellte, ist es gar nicht leicht einen ruhigen Platz zum Verweilen zu finden. Semuc Champey bleibt mir mit seinen natürlichen Pools wegen seiner wahnsinnigen Schönheit im Gedächtnis – und nebenbei wegen der Floh-oder Wanzenbisse zusätzlich zu den Mückenstichen, die mich tatsächlich zum Weinen gebracht haben. Der Osterwahn in Antigua war absolut sehenswert (auch wenn für meine Begriffe stark übertrieben), der Lago Atitlan ist zwar schön, aber die Ortschaften drum herum laden mich nicht zum Bleiben ein. Die Vulkanbesteigung auf den Pacaya war für mich ein ganz besonderes Erlebnis (ich hatte schon daheim Albträume, dass ich in einen Vulkankrater falle) und es hat sich herausgestellt, dass ich diese dunkle Mondlandschaft mit Schwefelduft höchst anziehend finde. Eine weitere persönliche Überwindung waren eindeutig die Höhlen von Semuc Champey, bei deren Durchwanderung, -schwimmung und -kletterung ich ganz oft ganz tief durchatmen musste, um nicht die Nerven zu verlieren. Nach solchen und ähnlichen Ereignissen bin ich natürlich sehr stolz auf mich und froh, dass wir es heil überstanden haben. El Salvador und Nicaragua haben wir ja eher im Schnelldurchflug passiert – nichts desto trotz trage ich einige sehr eindrückliche Momente aus dieser Zeit in mir (Romereo, versiffte Gegenden, bettelnde Kinder, tolle Landschaften…).

Was bettelnde Kinder betrifft und sich durch ganz Mittelamerika zieht, habe ich mich in der Zwischenzeit auf das Verteilen von Lutschern verlegt. Erscheint mir ein einigermaßen annehmbarer Kompromiss zwischen Geld und nichts. Die Tatsache wozu Kinder hier verwendet werden bleibt grausam. Die aktuellste Botschaft ist die, dass Kinder mit einer Adresse losgeschickt werden, Touris ansprechen müssen, sie hätten sich verirrt und müssten dahin zurück gebracht werden. Das endet letztlich in Überfällen bis zu Vergewaltigungen. Die Länder sind voll mit Kindern (sechs bis zehn pro Familie gelten durchaus als üblich). Die Logik ist etwas verquer, denn die Kinder sollen das Familieneinkommen erhöhen (durch Betteln, Arbeit, Verkauf!) und die Altersvorsorge sichern. Manche werden schon sehr früh quer durchs Land geschickt, um bei anderen Familien zu arbeiten (z.B. das zwölfjährige Mädchen aus Chiapas, das ich auf der Isla Mujeres getroffen habe, wo es als Kindermädchen arbeitet), andere „schaffen es“ in die USA, machen dort irgendwelche besch…Jobs und schicken regelmäßig Geld nach Hause, um die Großfamilie zu versorgen. In El Salvador bezieht sich ein Fünftel der gesamten Volkswirtschaft auf Überweisungen von SalvodorianerInnen aus dem Ausland.

Ich komme nicht darum umhin, mir in dem jeweiligen Land, in dem ich mich gerade aufhalte, ein Minimum an Geschichte und Politik reinzuziehen und so schwirrt mir manchmal auch davon der Kopf. Von den Zapatistas in Mexiko über die linke FMLN versus der rechten ARENA in El Salvador zu den Sandinisten (FSLN) und Contras (Somoza) in Nicaragua. Allein Begriffe wie die „Politik der verbrannten Erde“ oder jener der „Mano Duro“ und deren Superlative der „Super Mano Duro“ (Super Harte Hand), sowie die „Todesschwadronen“ verursachen mir eine Gänsehaut. Doch all das und so viel mehr ereignete sich erst nach all den Grausamkeiten der Kolonialzeit. Meine Buchempfehlung dazu: Der Klassiker von Eduardo Galeano: Die offenen Adern Lateinamerikas. Es erscheint mir, ob des Hintergrundes dieses Kontinentes, immer wieder höchst seltsam all die schönen kolonialen Gebäude, tausende von Kirchen und Kathedralen zu besichtigen und christlichen (meist katholischen) Festivitäten beizuwohnen. Aber die Leute sind sehr stolz auf ihren Glauben und scheuen sich glücklicherweise nicht katholische Tradition mit indigener Tradition (soweit noch vorhanden) zu vermischen. Die „limpia“ (Reinigung) von einer Chamulafrau, die wir am Anfang unserer Reise in Mexiko erleben durften wird mir auch ewig im Gedächtnis bleiben. Es gäbe noch viel zu sagen, was Sprachbarrieren oder andere Ärgernisse betrifft, aber dazu vielleicht ein anders Mal.

Der langen Schreibe, kurzer Sinn: von den acht Ländern Zentralamerikas haben wir sechs bereist – Belize und Honduras haben wir uns für ein anderes Mal aufgespart. Meine Favoriten sind Mexiko und Costa Rica. Überall gäbe es noch viel mehr zu sehen, aber ich kenne mehr als vor drei Monaten. Laut Google Maps haben wir 4.444 km zurückgelegt. Zum Vergleich der Größenverhältnisse zwischen Mittel- und Südamerika: allein von Buenos Aires nach Ushuaia (beides Argentinien) sind es 2372,879 km (Luftlinie!).

Momentane Lebenseinstellung: „Am Ende des Lebens wirst du das bereuen, was du nicht getan hast – nicht das, was du getan hast.“ Ich möchte möglichst wenig bereuen!

Ich möchte mich beim Universum und bei meinem großartigen Reise- und Lebenspartner bedanken, an dessen Seite ich mich immer sicher, geborgen und zu Hause fühle!