es ist 00:40 und ich sitze wieder am Balkon im 15ten Stock der Avenida 359 in Lima. Wir haben die Kathedrale des Pisco leergetrunken. Baby hat sich nach einer letzten Chips-vom-Balkon-werfen-Aktion ins eiskalte Bettchen zurückgezogen und ich das dringende Bedürfnis über die letzten sechs Tage zu schreiben – mein Schluckauf bringt mich um.

Schon vor Beginn unserer Reise wollte Baby zum Amazonas, ich nicht. Hier gibts Ärgernisse und Unannehmlichkeiten wie Piranias, Malaria, Dengue Fieber, Kinderschänder und Altnazis. Selbst Santiago, Brasilianer, hat uns davon abgeraten, den Amazonas stromaufwärts von Manaos zu besuchen – zu gefährlich. Liebe versetzt Berge und mich in diesem Fall nach Iquitos, dem schwülen Zentrum am Oberlauf des Amazonas. Es war ein Höhepunkt unserer Reise, die mitlerweile fünf Monate dauert. Iquitos ist eine Stadt, die nicht über Strassen erreicht werden kann. Jede Strasse, welche aus der Stadt hinausführt endet früher oder später im Urwald des Amazonas. Es gibt nur die Möglichkeit per Boot oder mit dem Flugzeug hierher zu gelangen. Wir haben uns für zweitere Möglichkeit entschieden, um Zeit zu sparen. Nach dem kühlen Lima empfängt uns Iquitos mit der vollen Breitseite von 95 % Luftfeuchtigkeit, charmanten 30 Grad Temperatur und ca. 20000 Tuctucs. Schon am ersten Tag stellen wir fest, dass die Stadt, nicht wie fälschlich im Lonely Planet angegeben, am Amazonas sondern am Rio Soundso liegt, welcher aber auch schon ein beeindruckendes Flüsschen ist. Die Lösung dieses Problems: wir buchen eine Dschungeltour.

Am nächsten Tag gehts erstmal zwei Stunden auf einem Boot zum Amazonas und dann weiter tief in den Amazonas Urwald. Schon auf dieser Fahrt wird mir klar, wie großartig die Tatsache ist, dass Baby mich hierher verschleppt. Ich selbst wäre ja nie hierher gefahren – zu weit Abseits der Zivilisation, zu nahe an den Gefahren des archaischen Lebens. Nur wegen Baby schippere ich auf dem größten Fluss der Welt direkt in den Busch hinein und bin begeistert wie ein kleines Kind. Für alle, die keine Vorstellung vom Amazonas haben: Man nehme einen durchschnittlichen See aus Österreich, sagen wir mal Wörthersee, Mondsee,… dehne ebendiesen ein paar tausend Kilometer in die Länge und lasse ihn fliessen, dann kommts in etwa in Richtung dessen, was ich gerade sehe. Wir kommen bei einem Dorf an, gehen quer durch den Busch, um auf ein weiteres Boot zu steigen, welches uns auf einem pechschwarzen Fluss zur Wimba Lodge bringt, unserer Basis. Der Fluss ist voll von Piranias aber ich bin schon zu sehr vom Dschungelfieber infiziert, als dass mich das noch ernsthaft nervös macht. Nachdem wir unser nettes Zimmer bezogen haben, hau ich mich erstmal erschöpft in die Hängematte und schlafe den Schlaf der Gerechten, während sich der Himmel über den Urwald ergießt. Mein Tonaufnahmegerät läuft die ganze Zeit und wer die Aufzeichnungen hören will klickt HIER. Ich muss sagen, dass dies der tiefste, erhohlsamste Schlaf ist, den ich auf unserer gesamten Reise finde – grossartig. Nach dem Mittagessen gehts los nach „Monkey Island“, einer Rettungs- und Aufzuchtstation für kranke Urwaldtiere. Wieder fahren wir mit dem Boot auf diesem unfassbar grossen Fluss und stehen bald inmitten von Affen, Anakondas, Amweisenbären und prähistorischen Schildkröten. Während unseres Besuchs trage ich einen Affen auf meinem Hals umher, der es offenbar sehr nett bei mir findet, während ich das Gefühl habe, dass sämtliche seiner Flöhe bei mir ein neues Zuhause finden. Wir treffen einen anderen Affen, der krank ist. Er ist so armseelig, wie ein kleines Kind, das nicht weis, was mit ihm los ist. Mehr als bei jedem (Menschen)Baby erwachen hier meine Vatergefühle. Im Anschluss haben wir die Gelegenheit mit Tucanen, Papageien, prähistorischen Schildkröten, Anacondas und Nasenbären auf Tuchfühlung zu gehen. Die Tiere leben hier nicht in Gefangenschaft, sondern werden hier gepflegt, um wieder in freier Natur überleben zu können, auch wenn das Ganze natürlich auch eine touristische Komponente hat.

Im Anschluss gehts wieder auf den Amazonas – zu Sonnenuntergang. In der untergehenden Sonne spiegelt sich der Fluss in einer Weise, dass ich einen Moment habe, in dem ich daran zweifle, dass dies alles real ist. Zu kräftig sind die Farben, zu intensiv die Muster auf den Wellen – ich bin beeindruckt und begeistert – es gibt keine Fotokamera, die das auch nur annähernd festhalten kann . Vor einigen Jahren habe ich einen 3D-Designer gebeten, mir eine Simulation für Wellen auf einem Ozean zu entwerfen. Das Ergebnis war für mich immer irgendwie unecht, hyperreal. Jetzt kann ich sagen, er hats verdammt gut getroffen. Nachdem unser Bootsführer und unser Guide einen Platz gefunden haben, wo es keine Stachelrochen gibt, ist Baby die Erste, die beschliesst die Gelegenheit zu nutzen, um im Amazonas zu schwimmen. Ich folge ihrem Beispiel und springe vom Boot und schwimme, verdammt noch mal, im Amazonas – das soll uns erst mal einer unserer Freunde nachmachen!

Später gibts Abendessen – Fisch aus dem nahegelegenen Flusss natürlich, dann wirds dunkel. Damit uns nicht fad wird steht jetzt eine Kanufahrt durch den Urwald auf dem Programm. Es ist stockfinster. Meine Wenigkeit sitzt in der Mitte des Kanus, unser Führer „Heine“ paddelt vorne, Baby hinten. Uns trennen gefühlte 5 Zentimeter von Piranhias und Allem, was sonst noch hungrig im Urwald ist. Ich bin mir nicht zu schade, zu sagen, dass diese Flussfahrt kein Vergnügen für mich ist. Immer wieder springen Fische aus dem Wasser und einer auch in unser Kanu, den ich dann beherzt rette, indem ich ihn zurück in die schwarze Brühe werfe. Letztendlich bekommen wir auf unserer nächtlichen Fahrt nur einen Bullfrog (eine laut schreiende, grosse Kröte) zu Gesicht, welche auch noch in Schockstarre verfällt, als wir uns ihr nähern. Während Baby die Ausfahrt geniesst, muss ich sagen, dass ich froh bin, als wir wieder zurück in der Lodge sind. Zu meinem Unwohlsein tragen auch die Urwaldschauermärchen unseres Führers bei, welche wohl in dieser Gegend zum guten Ton gehören. Zurück in unserer Unterkunft stellen wir fest, dass Baby der Gewinner unseres „Wer bekommt mehr Moskitostiche ab“-Gewinnspiels ist. Sie hat 69 Stiche (von der Hüfte abwärts, dann haben wir aufgehört zu zählen)! Den Ton zu unserer Kanufahrt gibts HIER.

5:30, Heine klopft an unsere Tür. Ehe wirs uns versehen fahren wir mit dem kleinen Boot flussaufwärts zum „Giant Tree“, einem Mamutbaum. Nach einer halben Stunde während der langsam die Sonne aufgeht und einem kurzen Spaziergang in den Urwald stehen wir vor diesem jungen Bäumchen, wie Heine es nennt. Es ist erst 900 Jahre alt und 45 Meter hoch. Der Stamm hat ca. 6 Meter im Durchmesser. Es ist die selbe Art Baum, die wir schon in Costa Rica kennengelernt haben nur viel grösser. Von den Ästen hängen Lianen bis zu uns herunter und unser Bootsführer beweist uns dass er fit ist indem er mal schnell auf 20 Meter an einer hinaufklettert. Wir lehnen dankend ab, es ihm nachzumachen – dazu fehlt uns einfach das Frühstück. Baby schwingt sich noch schnell an einer Liane und wirkt zumindest im Ansatz ein wenig wie Jane, Tarzans leichtbekleidete Freundin. Dann gehts wieder auf dem pechschwarzen Fluss zurück.

Nach dem Frühstück gehts zum Stamm der Jaguas und das ist eine anspruchsvolle Begegnung für uns. Wir treffen auf halbnackte Eingeborene in Baströcken. Wir werden bemalt, tanzen mit ihnen im Kreis, messen uns im Blasrohrschuss-Wettkampf, verstehen kein Wort, von dem was sie sagen und haben keine Ahnung, ob dies eine Touristenshow oder wirklich echtes Urwaldleben darstellt. Unser Führer ist uns keine Hilfe, denn auch er kann den Dialekt nicht, den sie sprechen. Klar ist nur, dass er nicht bemalt werden möchte und wir uns in unseren Gummistiefeln deplaziert vorkommen. Es könnte also genau so sein, dass sie mit uns eine Reinigungszeremonie abhalten oder uns einfach als bescheuerte Touristen mit Gummistiefeln verarschen – hier ist im Erlebnishorizont noch Spielraum nach oben. Was allerdings echt ist, ist dass hier neben Halsketten aus Urwaldmaterialien auch Kinder gekauft werden können, was Baby sehr mitnimmt – ich kanns ihr nicht verdenken.

Auf den anschließenden, lustigen „jetzt fangen wir Piranhias wie die Urwaldeinwohner“-Programmpunkt verzichten wir und legen uns lieber wieder zum prasselden Regen ins Bett. Nach dem Mittagsessen gehts wieder zwei Stunden auf diesem sagenhaften Fluß zurück nach Iquitos. Dieser Ausflug wird mir ewig in Erinnerung bleiben und ich kann nur jedem empfehlen, der in diese Gegend kommt, sich sein eigenes Bild davon zu machen – egal ob gut oder schlecht, es gibt nichts vergleichbares auf diesem Planeten.

Zurück in Iquitos erholen wir uns einen Tag, um am Nächsten wieder das volle Bildungsprogramm abzuziehen. Als erstes geht es nach Belen, dem Markt von Iquitos. Ein Teil steht auf dem Festland, der andere ist eine schwimmende Stadt. Wir haben ja schon einige Märkte auf unserer Reise besucht aber das Warenangebot hier übertrifft alles, was wir bisher gesehen haben. Es gibt hier alles von Affen und Rehbockschädel, Papageienkücken, Maden (lebend und gegrillt), Schildkrötenpenisse, Anacondas, prähistorische Fische, alles selbstverständlich unter Artenschutz, bis zu jeglichen haluzinogenen Dschungelsubstanzen. Darüberhinaus haben wir den Eindruck, dass man hier mit Geld alles kaufen kann, wonach sich auch die abartigste Seele sehnt – Iquitos ist eben ein sehr spezieller Ort und nicht umsonst sehen wir immer wieder Schilder auf denen hingewiesen wird, dass Sex mit Kindern strafrechtlich verfolgt wird. Wir finden einen Führer, der uns noch tiefer nach Belen, in die schwimmende Stadt, führt. Belen wird auch als Venedig des Amazonas bezeichnet. Das liegt daran, dass die Stadt zu Hochwasserzeiten bis zu sieben Meter unter Wasser steht, was die Einwohner nicht davon abhält, ihr normales Leben weiter zu führen – nur per Boot eben. Wir besuchen die Familie unseres Führers uns ich bin beeindruckt, von der „Normalität“ des Lebens hier. Es gibt Schulen, Kirchen, Mechanikerwerkstätten, Tankstellen,… nur dass die eben entweder schwimmen oder das halbe Jahr unter Wasser stehen – auswandern würde hier trotzdem niemand. Wir kommen an einer schwimmenden Disco vorbei. Je mehr Leute am Abend hier eintrudeln, desto tiefer versinkt das Gebäude in den Fluten des Flusses. Laut unserem Führer rufen die Leute hier immer noch nach Cervesa (Bier), wenn sie schon bis zur Brust im Wasser tanzen.

Wer jetzt meint, dass dies als Eindruck für einen Tag reicht, kennt Baby noch nicht. Nächster Stopp „Rescue Irgendwas“. Wir haben keine Ahnung, worum es hier geht, trotzdem heuern wir einen Tuctuc-fahrer an, dass er uns dort hin bringt. Eine gute halbe Stunde später stehen wir in einer Rettungs- und Aufzuchtstation für Seekühe. Seekühe sind in den Flüssen um den Amazonas heimisch, fressen brav Algen und Bakterienteppiche weg und halten so Flora und Fauna der Flüsse im Gleichgewicht. Allerdings haben sie ein Problem – die Menschen, welche sie als schnucklige Haustiere fangen oder aufessen. In dieser Station werden verwaiste Seekühe aufgepeppelt, um anschliessend wieder in die Natur ausgesetzt zu werden. Ich muss sagen, bisher waren mir auch diese Tiere egal, aber nachdem ich so eine schwimmende Melanzani berührt habe, ist die Sache anders. Diese Tiere sind entzückend und ich kanns verstehen, dass man sowas als Haustier haben will. Baby und ich sind sehr berührt und hauen eine Stange Geld in die Box für Spenden.

Eigentlich bin ich müde aber der Zoo von Iquitos ist auch noch in der Nähe und so überredet mich Baby zu einem weiteren Programmpunkt um weiter zu dehydrieren. Wir sind ja in der naiven Hoffnung, hier im Urwald einen tollen Zoo zu finden, leider werden wir enttäuscht. In kleinen Käfigen tummelt und vegetiert hier alles vor sich hin, was eigentlich viel Platz braucht – Tiger, Jaguare und Konsorten. Über der gesamten Anlage liegt eine bedrückende Stimmung von „das ist aber nicht in Ordnung“. Absurder Weise mündet der Zoo an einer fantastischen Lagune, die als Ausflugsziel für die Leute von Iquitos dient. Sie ist so schön und passt gar nicht zu diesem Tiergefängnis. Bemerkenswert ist trotzdem, dass wir hier einige geschützte Tiere vorfinden, welche wir am Vormittag auf dem Markt gesehen haben – ja, Iquitos ist schon sehr speziell. Den Abend lassen wir bei einem guten Abendessen, gebratenes Krokodil und Schildkröten verweigern wir, ausklingen.

Der letzte Tag beginnt drückend heiß. Wir duschen uns obwohl uns klar ist, dass dies schweisstechnisch keinen Sinn macht und gehen ein letztes Mal zum Malecon (Uferpromenade) Frühstücken. Hier gibts auch ein spezielles Diätmenü für Touristen, die sich hier noch schnell mal ein Ayahuasca-Ritual reinziehen wollen. Das Ritual besteht in der Einnahme einer speziellen Urwaldmixtur aus Wurzeln und Kräutern, welche in erster Linie zur Totalentleerung des Magens durch den Mund und anschliessendem haluzinogenen Trip besteht, welches wir dieses Mal nicht ausprobieren – zu gross ist unser Respekt von diesem archaischen Ritus. Wenig später sitzen wir wieder im Flugzeug uns ich bin einmal mehr sprachlos von diesem riesigen Urwald der sich unter uns bis zum Horizont erstreckt – nur durchbrochen von kleinen Rinnsalen und dem mächtigen Amazonas. Gegen Ende unseres Fluges sehen wir noch wie sich ein endloses Wolkenmeer an die Hänge der Anden schmiegt und nur die Gipfel oben herausschauen. Ich möchte keinen Augenblick davon verpassen und verzichte darauf den Fotoaparat aus dem Rucksack zu holen.

Wie gesagt, ich sitze hier im 15 Stock unserer Unterkunft in Lima und versuche die Erlebnisse der letzten sechs Tage zusammenzufassen. Das Ganze liest sich auch kritisch und hört sich nicht nur schön an. Gerade deshalb möchte ich nochmal sagen, wie grossartig der Ausflug zum Oberlauf des Amazonas für mich war. Es war drückend schül, ich bin auf den glischigen Strassen von Iquitos im Regen auf die Fresse gefallen, habe den grössten Fluss der Erde im Sonnenuntergang gesehen und bin darin mit Baby geschwommen. Erfahrungen müssen nicht per se schön, wundervoll oder lustig sein, um ihre Berechtigung zu haben – diese Erfahrungen werde ich nie vergessen!

 

P.S.: Unsere Technik macht uns seit einigen Wochen Kopfzerbrechen. Seit Längerem zickt unsere Kamera rum und will heim zum Service (Daumengummi abgefallen, Staub in der Optik, Bildstbilisator am sterben,…), jetzt hat unser Notebook den Geist aufgegeben. Der Grund warum ich dies posten kann, ist dass man hier am Arsch der Welt, mitten im Urwald, durchaus einen Laden finden kann, der Laptops repariert. Der Service ist freundlicher als alles, was man in Österreich findet! Auch wenns nur ein Problem mit Windows war – die Leute hier können auch Hardware reparieren – eine Vorstellung, welche der Industrie in der westlichen Welt kalte Schweissperlen auf die Stirn treibt. Bei uns zu Hause werden Geräte ausgetauscht oder man muss etwas Neues kaufen – hier wird repariert und zwar alles vom Autoreifen über den Schiffsmotor bis zum Computer! Auch das finde ich bemerkenswert.