Ich reise ja nicht zuletzt aus dem Grund, um zu sehen, wie es sich woanders lebt. Nachdem wir uns bereits zehn Tage abseits von Europa aufhalten, erlaube ich mir hier meine ersten, oberflächlichen Beobachtungen, Erfahrungen und Eindrücke zur Diskussion zu stellen, denn kaum bin ich aus Europa raus, fange ich an, örtliche Begebenheiten mit Daheim zu vergleichen. Schon die touristische Isla Mujeres in Mexiko bietet mir dazu viele Gelegenheiten.
Egal wo ich hinkomme, drängt sich mir der Eindruck auf, dass Daheim eigentlich alles, aufgeräumter, gepflegter und durchdachter ist – das mag zwar stimmen, täuscht jedoch in der Hinsicht, als man annehmen könnte, dass hier nichts funktioniert – ganz im Gegenteil.
Häuser und Wohnungen erscheinen oftmals als Rohbau und unbewohnt und erst, nachdem ich bei Nacht nochmal vorbeigehe und Licht herausscheinen sehe, wird klar – hier wird gewohnt. Bei flüchtigen Blicken durch Fenster und Türspalten zeigt sich folgende Wohnsituation: Es gibt einen grossen Hauptraum, in welchem sich mindestens eine Hängematte befindet, in der mindestens eine Person versucht zu entspannen. Es finden sich weitere Sitzgelegenheiten, eine Wäscheleine mit Wäsche sowie ein, zwei Regale – vollgeräumt mit Krimskrams. Manchmal ist in diesem Raum auch eine kleine Kochmöglichkeit integriert. Der Boden ist gerne in Beton, die Wände knallbunt gehalten, Elektrokabel hängen wirr durch den Raum. Alles aus Metall hat eine romantische Patina aus Rost (wir sind hier am Meer). Eine Tür führt wahrscheinlich zu einem simplen Bad und das wars dann im Durchschnitt auch schon. Manchmal führt eine einsturzgefährdet scheinende Treppe hinauf aufs Dach, wo etwas von diesem erfrischenden Wind weht und man einen Blick auf die Sterne erhaschen kann.
Man könnte jetzt als Teppich-, unterputzverlegter Elektrik- und ordnungsverliebter Europäer auf die Idee kommen, es hier mit den Ärmsten der Armen zu tun zu haben, doch das Cliche trügt. Ich sehe Familien, die gemeinsam fernsehen, mit ihren Kindern spielen, ein Buch lesen, einen zufriedenen und fröhlichen Eindruck machen. Bei uns wären 90% aller Wohnungen in diesem Zustand von verschiedenen Behörden als unbewohnbar klassifiziert. Dazu sollte ich anmerken, dass sich ein Grossteil des lokalen Lebens auf den Strassen und Plätzen abspielt und sogesehen die eigene Wohnung und deren Ausstattung einen deutlich geringeren Stellenwert, als bei uns zuhause darstellt. Hat man sich erstmal an die örtlichen Gegebheiten gewöhnt, tragen die farbenfrohen Gebäude in Kombination mit Palmen, Strand, Meer und freundlichen Menschen wesentlich zum Wohlfühlambiente bei und lassen Bauschutt (der der nur weggeräumt wird, wenn man die Fläche für etwas anderes braucht), Müll und mit Bretten zugenagelte Fenster in der Bedeutungslosigkeit verschwinden.
Wenn sich nun die Überlegung aufdrängt, die bescheidene Wohnsituation an den klimatischen Gegebenheiten festzumachen (ja, angenehme Durchschnittstemperaturen, wenig Regen, Schnee und Frost sind hier Fremdwörter), ist dies sicher nicht der Weisheit letzter Schluss. Ich werde mich mit diesem Thema auf unserer Reise sicher noch öfter beschäftigen.
Elektrische Installationen begeistern mich immer, sobald ich im Ausland bin! Ein wahrscheinlich auch für das geschulte Auge undurchsichtiges Chaos an lebensgefährlich scheinenden Leitungen ist hier Standard. Stromleitungsmasten stehen grundsätzlich mitten auf den schmalen Fusswegen. Immer wieder finden sich Kabel und obskure Bauteile, die herabhängen. Hin und wieder gibt es sogar Steckdosen direkt am Masten, wahrscheinlich damit sich die Mexikaner ihre Smartphones und Laptops hier aufladen können. Die Dichte an ebensolchen Geräten ist übrigens wie in Europa sehr hoch – das hier nur als Einwurf.
Von den Masten gehen zwei dünne Käbelchen zu den, in der Nähe liegenden Häusern und stellen den Hauptstromanschluss für ebendiese dar. Für die Experten: Erdung, Masse-, bzw. Nullleiter werden hier offensichtlich als unnötiger Luxus betrachtet. Dazu kommt, dass die zwei dünnen Leitungen, an denen hier ganze Häuser hängen, bei uns vom Ministerium für technische Sicherheit nichtmal zur Verbindung einer 1,5 Volt Batterie mit dem Spielzeug unserer Kleinkinder freigegeben wären. Stromzähler und Sicherungen der Häuser befinden sich unter Plexiglasabdeckungen an der Aussenseite der Hauswand.
Verkehrsmittel beeindrucken mich am meisten! Alles was hier herumfährt, egal ob Moped, Auto, Bus,… fände man in Europa nur in den dunkelsten Ecken eines verwahrlosten Schrottplatzes. Ich versuche das mal an einem durchschnittlichen, offiziellen, Taxi zu verdeutlichen:
Die Einrichtung der Taxis ist meist in jämmerlichem Zustand – aufgerissene Sitze und herabhängende Innenverkleidung geben sich ein Stelldichein mit defekten Anzeigen auf dem Armaturenbrett – die Geschwindigkeit des Fahrzeugt wird hier offensichtlich erfühlt und nicht abgelesen. Aber: falls das Taxi über eine Klimaanlage verfügt, dann funktioniert die auch und erzeugt mit dem Fahrtwind, der durch die offenen Fenster hereinstreicht ein angenehmes Wohlfühlklima.
Von Aussen fallen Kofferraumdeckel ins Auge, welche gerne mal mit Kabeln und Drähten am Fahrzeug befestigt sind. Auch scheint es per Gesetz vorgeschrieben zu sein, dass Fahrzeuge über keine funktionierende Federung verfügen dürfen und werden aus diesem Grund über die häufigen Geschwindigkeitsschweller quasi darübergetragen, was der allgemeinen Verkehrssicherheit zu Gute kommt. Auch schön: komplett fehlende Auspuffanlagen, die aus einem Nissan zumindest soundmässig einen Ferrari machen, sowie dieses besondere Quietschgeräusch von Bremsen, die schon vor Jahren den letzten Brösel Bremsbelag verloren haben.
Um allen „steigt niemals in so ein Fahrzeug und kommt sofort per businessclass-Ticket nach Hause“-Rufen vorzubeugen, muss ich anmerken, dass ich mich zu jederzeit sicher von A nach B gebracht fühle, was sicher mit dem, von mir implizierten, Lebenswunsch unserer Fahrer, als auch mit der generell gemässigten Geschwindigkeit des Verkehrs zusammenhängt.
Generell kann man sich als Fussgänger auf Fusswegen und Strassen unbesorgt bewegen und ich denke, man kommt hier eher bei einem Meteoriteneinschlag als bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Trotzdem ist auf Fusswegen Vorsicht angesagt, denn einerseits stehen immer wieder undefinierbare Stahlhacken aus dem Boden und andererseits kann man sich leicht an den bereits erwähnten obskuren, herabhängenden elektrischen Bauteilen den Kopf anhauen.
Zusammenfassend möchte ich festhalten, dass ich den Eindruck habe, dass hier keine hohe Instandhaltungskultur herrscht, sondern eher dem natürlichen Fluss von etwas erschaffen, es verrotten lassen und neu erschaffen angehangen wird. Ich hoffe, dies geht aus meinen vorigen Betrachtungen hervor.
6 Responses to Raus aus Europa
Elektroethnologie!
und auch einiges an rechtschreibfehlerlogie – wird beizeiten korrigiert 🙂
age! is doch wurscht! 🙂
Mal a ganz anderer Blickwinkel 🙂
Sehr unterhaltsam. Ich hätt ja spontan die Vermutung, dass die beschriebenen Zustände uns bis vor kurzem noch äußerst nahe waren – bzw. es in südöstlicher Richtung nach wie vor sind, ohne einen Ozean überqueren zu müssen. „Unsere“ Vorstellung wie Dinge auszusehen haben und wie alles doppelt und dreifach geprüft und abgesichert sein muss, ist wahrscheinlich weniger eine europäische als eine nordwesteuropäische, die via EU seit Jahrzehnten nach und nach die europäische Peripherie aufsaugt. Meine Erinnerung an Spanien ist zumindest eine Mischung aus Mexiko-Zitaten und Korrektur derselben gemäß EU-Richtlinie und Deutscher Industrienorm. Thanks für die Eindrücke! (auch alle andern, übrigens…)
„Instandhaltungskultur“ – wie treffend. Sehr inspirierender Text! Liebe Grüße von hier, wo wirklich vor allem alles am Laufen gehalten wird statt dem lustvollen Leben mit Ups and Downs gefrönt wird.